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发表于 2004-7-18 09:29:19
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Das ist ein Artikel ueber Aids bzw. HIV von "die Zeit". Ich hoffe, das kann dir helfen.
HIV
Die tödliche Ignoranz
Nicht Terrorismus, sondern Aids gefährdet die ganze Welt
Von Bartholomäus Grill
Alle 60 Sekunden irgendwo in der Welt eine Ansteckung mit dem tödlichen Virus. Jeden Tag 8000 Aids-Tote. Im vergangenen Jahr fünf Millionen Neuinfektionen. Weltweit sind bereits 37,8 Millionen Menschen HIV-positiv. Die Zahlen sind furchterregend, sie übersteigen unsere Vorstellungskraft. Es sind die Zahlen der Vereinten Nationen, vorgelegt zur 15. globalen Aids-Konferenz, die diese Woche in Bangkok tagt.
Die Hiobsbotschaft des Expertengipfels: Die Pandemie breitet sich nun auch in den größten und bevölkerungsreichsten Staaten aus, in Russland, in China, in Indien. »Asien ist dort angelangt, wo Afrika vor 15 Jahren stand«, sagt Peter Piot, der Leiter von UNAids. Wenn die Regierungen weiter abwarten, werde auch auf diesem Erdteil bald das Massensterben beginnen.
In Deutschland ist das Immunschwächesyndrom seit Jahren kein gewichtiges politisches Thema mehr, man hat andere Sorgen. Die Zahl der Leidtragenden fällt im weltweiten Maßstab nicht ins Gewicht. Ende 2003 waren 43000 Bundesbürger HIV-positiv, davon 5000 mit dem Vollbild Aids. Im öffentlichen Bewusstsein wird die Seuche wieder bagatellisiert als Problem von Randgruppen, von Schwulen und Fixern. Das ist ein Irrtum. Oder sie wird in den tiefen Süden verlegt, als wäre sie nur eine Geißel der Armen, der Entwicklungsländer, der Schwarzen.
Der Aids-Tod hat den Schrecken verloren, vor allem junge Menschen zu treffen; denn Infizierte leben durch antiretrovirale Medikamente länger – jedenfalls dort, wo diese die Patienten erreichen, also in den hoch industrialisierten Nationen. Das hat zugleich die abstruse Vorstellung verfestigt, Aids-Cocktails könnten die Krankheit neutralisieren oder gar heilen. Safer Sex? Wozu noch Kondome benutzen? Alles halb so tragisch. Motto des neuen Leichtsinns: Kein Spaß ohne Risiko.
Die Folge: Zum ersten Mal seit Anfang der neunziger Jahre ist auch hierzulande die Infektionsrate wieder angestiegen. Und sie wird noch schneller steigen, denn die Seuche kehrt gerade aus dem Osten ins Zentrum Europas zurück. Die erweiterte Wohlstandszitadelle der Europäischen Union kann nicht wie eine mittelalterliche Stadt ihre Tore verrammeln und darauf hoffen, verschont zu bleiben. Auch Aids ist ein Phänomen der Globalisierung, die Erreger nehmen jedenfalls deren Eigenschaften an. Sie bewegen sich wie Datenströme, Finanzflüsse, Migrationswellen, Düsenflugzeuge, sie sind schnell, entgrenzt und unwägbar.
Niemand wird mehr behaupten können, Aids sei vor allem eine Plage Afrikas. In Kasachstan, Lettland, Russland oder der Ukraine breite sich die Epidemie mit hoher Geschwindigkeit und so gut wie unkontrolliert aus, warnt der Aids-Bericht der Vereinten Nationen. Noch dramatischer ist das Tempo in Indien, wo sich bereits 5,1 Millionen Menschen angesteckt haben – die zweithöchste Zahl der Infizierten nach Südafrika.
Im Süden Afrikas können die Inder beobachten, was demnächst auf sie zukommt, wenn sie nicht sofort gegensteuern. Dort tritt die Pandemie gerade in die Todesphase. Es sind Bilder von überfüllten Hospizen, endlosen Leichenzügen, ausufernden Friedhöfen. Das Heer der Waisenkinder ist auf 12 Millionen angeschwollen. In Botsuana beträgt die Lebenserwartung nur noch 40 Jahre. In Sambia sterben per annum doppelt so viele Lehrer wie an den Hochschulen ausgebildet werden. In Malawi hungern Familien, weil es an Arbeitskräften auf den Feldern fehlt. Auch die verfehlten Kampagnen der katholischen Kirche (»Keine Kondome!«) sind verantwortlich für diese Katastrophen.
Aids verschärft das Elend. Aids lässt die Gesundheitskosten explodieren. Aids frisst das Wachstum auf. Aids unterhöhlt die Entwicklung. So wie das Virus das Immunsystem des menschlichen Körpers zerstört, zersetzt die Seuche das soziale Gewebe der Gesellschaft. Am Ende wird es still in den Dörfern, so still wie in Europa während der Pestzeit, als der Dichter Petrarca aus Verona berichtete: »Man hört keine Stimmen, kein Weh, keine Schmerzensrufe, kein Weinen mehr.«
Im Frühjahr 2001 nannte der amerikanische Geheimdienst CIA HIV/Aids die »größte Bedrohung« für Demokratie, Sicherheit und Stabilität in Afrika. Dann kam der Herbst, der 11. September, und seither ist die größte Bedrohung eine ganz andere: der globale Terrorismus. Aber Milliarden von Erdenbürgern fühlen sich nicht durch Terroristen bedroht. Sie sind bedroht durch Armut, Hunger, Seuchen. Aus ihrer Sicht heißt die furchtbarste Massenvernichtungswaffe human immunodeficiency virus (HIV). Seit seiner Entdeckung im Jahre 1981 fielen dem Erreger rund 20 Millionen Menschen zum Opfer. Man muss keine Kassandra sein, um zu prophezeien, dass die Epidemie in zwanzig Jahren mehr Leben ausgelöscht haben wird als der Zweite Weltkrieg.
Das sind niederschmetternde Prognosen, aber selbst die scheinen die Mächtigen der Welt nicht übermäßig zu beunruhigen. Stephen Lewis, der UN-Sonderbeauftragte für Aids, erklärte nach dem Anschlag in New York: »3000 Menschen starben durch einen furchtbaren Terrorakt, und ein paar Tagen später redete die Welt von Hunderten von Milliarden Dollar für den Kampf gegen den Terror. Im gleichen Jahr starben 2,3 Millionen Afrikaner an Aids, und wir müssen bitten und betteln um ein paar hundert Millionen Dollar.« Der zornige Exdiplomat wirft dem reichen Teil der Welt mass murder by complacency vor. Frei übersetzt: Massenmord, begünstigt durch satte Selbstzufriedenheit. So besehen, mutet die weltweite Hysterie, die vor Jahresfrist ein paar tausend Sars-Fälle ausgelöst haben, geradezu absurd an.
Was tun? Erstens: Aufklärung. Zweitens: Aufklärung. Drittens: Aufklärung. Und stark verbilligte Medikamente für Millionen von Armen, antiretrovirale Präparate, die die Übertragung des Erregers von der Mutter aufs Kind blockieren und das Leben der Infizierten erleichtern und verlängern. Dass mit dieser Doppelstrategie die Seuche eingedämmt werden kann, haben so unterschiedliche Länder wie Uganda, Australien, Thailand oder Brasilien eindrucksvoll bewiesen. Es steht indes zu befürchten, dass sich in Indien oder der Ukraine zunächst wiederholt, was man den rückständigen und abergläubischen Afrikanern oft vorwarf: die Stille, das große Schweigen und Leugnen, die sozialen Tabus und religiösen Traditionen, die Stigmatisierung der Opfer.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat das Problem immerhin schon einmal erwähnt, in einer Rede zur Lage der Nation. Aber seine Regierung gibt nach Angaben der Weltbank nur 3,9 Millionen Dollar pro Jahr für den Kampf gegen HIV/Aids aus, Brasilien hingegen 300 Millionen Dollar.
In Moskau ist es wie in vielen anderen Hauptstädten der Welt: Man hat die sozialen, ökonomischen und sicherheitspolitischen »Kollateralschäden« der Pandemie noch nicht begriffen. Es herrscht weiterhin »obszöne Gleichgültigkeit« (Stephen Lewis). Die Staatschefs, die anlässlich der Aids-Konferenz in Bangkok zu einem Gipfeltreffen geladen waren, haben wieder einen eindrucksvollen Beweis dafür geliefert – die meisten sagten ab. Es gibt für sie offenbar wichtigere Dinge als die verheerendste Seuche unserer Zeit. Doch auf dem Spiel steht auch die Glaubwürdigkeit der zivilisierten Nationen und ihrer Politiker. Je länger sie es vorziehen, den jämmerlichen Tod von Millionen von Menschen zu ignorieren, desto deutlicher wird eine prinzipielle Ignoranz angesichts von Würde und Wert des Lebens.
(c) DIE ZEIT 15.07.2004 Nr.30 |
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