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Neue Perspektiven für Wirtschaft und Wissenschaft
Erfahrungen und Eindrücke von einer Forschungsreise nach China
Eine zweiwöchige Forschungsexkursion nach China unternahm vor kurzem Professor
Dr. Dr. h.c. Peter Oberender, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre (Wirtschaftstheorie) an der Universität Bayreuth. Prof. Oberender besuchte zusammen mit seinem Mitarbeiter Dipl.-Volkswirt Jochen Fleischmann und einer Gruppe von 20 Studierenden die Städte Peking, Qingdao, Wuhan, Hangzhou und Shanghai (ein Reisebericht mit Bildern findet sich unter www.uni-bayreuth.de/departments/rw/lehrstuehle/vwl4 ).
Im Interview zieht Professor Oberender eine Bilanz:
Herr Professor Oberender, gemeinsam mit Ihren Studenten haben Sie ein reichhaltiges Reiseprogramm absolviert, das zahlreiche Gespräche mit hochrangigen Vertretern von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik umfasste. Schon früher haben Sie Forschungsreisen nach China unternommen. Was hat Sie diesmal besonders beeindruckt?
Dass China einen sehr sinnvollen Weg der Veränderung seiner Strukturen eingeschlagen hat. Eine starke Regierung gewährleistet, dass wirtschaftliche Reformen schrittweise umgesetzt werden können. Auch die Rechtsordnung wird allmählich weiterentwickelt, und zwar in einer Weise, die den Besonderheiten des Landes angepasst ist. Juristische Berater aus Deutschland leisten hierfür wichtige Beiträge, die Hanns-Seidel-Stiftung und auch andere Stiftungen engagieren sich stark für den Wandel in China.
... wie verhält es sich mit politischen Veränderungen?
Pressefreiheit und Demokratie sind natürlich Problemfelder, ich will da nichts beschönigen. Aber die Veränderungen seit unserer China-Reise im Jahr 1990 sind ganz erheblich. Schon die Einreise war vergleichsweise unkompliziert, die Einreisebestimmungen der USA sind restriktiver. Es wäre aus meiner Sicht falsch, die volle Realisierung von Menschenrechten und einen demokratischen Pluralismus zur Vorbedingung für Wirtschaftsbeziehungen und wissenschaftlichen Austausch machen zu wollen. Ich glaube vielmehr an den "Wandel durch Handel". China befindet sich in einem evolutionären Prozess, der sich auch auf die politischen Strukturen auswirken wird.
Sie haben u.a. die Parteihochschule der Kommunistischen Partei in China besucht. Wird die Partei nicht ihr politisches Führungsmonopol aufrecht erhalten wollen? Oder zeichnet sich auch hier ein Wandel ab?
Die Entwicklungsfortschritte sind nicht zu unterschätzen. 1990 wäre es in dieser Hochschule noch undenkbar gewesen, dass Studenten aus Deutschland mit chinesischen Studenten und Dozenten so offen miteinander diskutieren. Damals war ich allein zu einem Gastvortrag beim ZK in Peking eingeladen, weitergehende Kontakte waren nicht möglich. Diesmal haben wir ausführliche, natürlich auch kontroverse Diskussionen geführt. Partei und Regierung stehen auf dem Standpunkt, die sozialistische Marktwirtschaft sei die Endstufe der wirtschaftlich-politischen Entwicklung. Dem habe ich entgegengehalten, dass noch vor mehr als einem Jahrzehnt verneint worden sei, dass es in China jemals eine Marktwirtschaft geben werde - aber genau diese Entwicklung ist mittlerweile eingetreten. Man kann bei evolutionären Prozessen eben nie sicher sein, wohin sie letztlich führen. Es wird noch eine spannende Frage sein, ob und wie China den Sprung in ein Mehrparteiensystem schafft. Konzepte gibt es dafür von offizieller Seite bisher nicht.
Russland und andere Länder Osteuropas leiden darunter, dass dort bis heute ein zu starker Zentralismus herrscht. Wird dieser Fehler in China vermieden, indem man den Regionen mehr Eigenständigkeit gibt?
China vermeidet - glaube ich - zwei Dinge, die für Osteuropa verderblich waren. Zum einen hält man eine starke politische Position aufrecht, um den Reformprozess voranzutreiben. In Osteuropa, z.B. der Ukraine, war das nicht der Fall. Dort hat bald nach der Wende ein Verfall der politischen Institutionen eingesetzt. Und zum anderen gibt China den regionalen Einheiten mehr Autonomie. Shanghai ist dafür ein Beispiel, oder auch die Sonderwirtschaftszone Shenzhen. Ich halte solche Entwicklungen zu größerer regionaler Selbständigkeit für sehr sinnvoll. Mein Eindruck ist, dass die Chinesen im Vergleich mit Osteuropa größere Individualisten sind und auch mehr experimentieren. China geht seinen eigenen Weg, und ich bin überzeugt, er wird erfolgreich sein.
Wie ist die Situation von ausländischen Unternehmen? Haben sie die Freiheit, sich ihre eigenen Märkte zu suchen?
Weitgehend ja, auch wenn sie an Joint-Venture-Strukturen gebunden sind. Wir haben ja einige Unternehmen während unserer Reise besucht: Wir waren u.a. bei Obi, bei der Unternehmensberatung Roland Berger und bei der Firma M+W Zander, die im Facility-Bereich tätig ist. Die Gespräche, die wir dort geführt haben, waren sehr offen, Behinderungen haben wir nicht erlebt.
Hatten Sie den Eindruck, dass sich auch die chinesischen Wissenschaftler und Studierenden gegenüber den Besuchern aus Bayreuth frei äußern konnten?
Ja, allerdings man muss acht geben. Wir konnten mit einem Wirtschaftswissenschaftler sprechen, der sehr stark von ordoliberalem Gedankengut beeinflußt ist. Er vertritt eine liberale Sichtweise und bewegt sich damit in der Grauzone zum Dissidententum. Manche Freiräume, die ihm und anderen zugestanden werden, haben seiner Einschätzung nach eher eine Feigenblatt-Funktion. Aber die Fortschritte sind wiederum unverkennbar. Unser Gesprächspartner hat der liberalen Zeitschrift "Ordo" ausgewählte Beiträge zur Ordnungspolitik in Deutschland entnommen, sie ins Chinesische übersetzt und in einem Sammelband publiziert - das Buch ist in China frei zugänglich. Das wäre 1990 noch undenkbar gewesen.
Wird der in China eingeschlagene Weg schrittweiser Reformen von der Mehrheit der Studierenden, von der nachwachsenden wissenschaftlichen Elite unterstützt - oder orientieren sich junge Leute stärker an westlichen Vorbildern, auch in der Politik?
In allen diesen Fragen muss man einen grundlegenden Unterschied beachten. Die gebildete Bevölkerung, die städtische Bevölkerung ist gegenüber westlichen Ideen sehr offen. Sie finden da nichts typisch Chinesisches mehr: Das fängt bei der Mode an und hört bei der Musik auf. Fast jeder hat ein Handy und einen Internet-Zugang. Ich selbst habe übrigens nie erlebt, dass Webseiten wegen unerwünschter Inhalte gesperrt waren. Und auch die Diskussionen, die wir geführt haben, wären früher undenkbar gewesen. Da konnten Studierende mich als liberalen Ökonomen hören; sie erfahren u.a., wie ich die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in China bewerte. Die Kenntnisse im Bereich der Wirtschaftstheorie waren beachtlich, die Fragestellungen teilweise sehr speziell.
Andererseits wohnen 70 Prozent der Bevölkerung auf dem Land, sie sind eher konservativ eingestellt. Vor allem befürchten sie, dass - wenn die evolutionären Reformprozesse greifen - die Landwirtschaft leidet. Die Arbeitslosigkeit vor allem in l?ndlichen Regionen ist ein großes Problem, heute gibt es rund 200 Mio. Wanderarbeiter, die ihre Dörfer verlassen.
Im allgemeinen kann man jedoch sagen, dass die Lebensbedingungen in China heute besser und erträglicher sind als in manchen osteuropäischen Staaten. Das Verkehrssystem ist gut ausgebaut worden, die Entwicklung der Städte ist rasant. Shanghai halte ich für die modernste Stadt der Welt. Oder nehmen Sie Pudong: Washington, New York oder Los Angeles können da nicht mithalten. |
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